Kultur als Spielmarke?
Liebe Stadtinteressierte,
an dieser Stelle möchten wir für euch einen Briefverkehr online stellen, der die aktuelle Situation und die Gefahren innerhalb der alternativen Stadtentwicklungsszene recht gut darstellt.
Der Text besteht aus drei, sich aufeinander beziehende, offenen Briefen.
Bündnis Stadt von Unten,offener Brief, 30.10.2014
Liebe Kulturarbeiterinnen,
Liebe Freundinnen beim bbk, bei Haben und Brauchen, dem Projektraumnetzwerk und der Mieten- und Raumpolitik,
wir sind wütend und wollen diese Wut mit Euch teilen. Wir glauben, dass das, was uns persönlich in den Hinterzimmern des Berliner Bau- und Projektentwicklermilieus bereits geflüstert wurde – und während wir diese Zeilen schrieben durch die taz auch öffentlich gemacht wurde – gemeinsam besprochen werden muss.
Wir haben in den vergangenen Monaten in verschiedenen Zusammenhängen Politik gemacht, die sich darauf konzentrierte bestehende Arbeits- und Wohnflächen von Künstlerinnen und Mieterinnen zu erhalten, neue Flächen in selbstverwalteten Modellen zu schaffen und die Diskussion über die Vergabekriterien von öffentlichem Grund kritisch zu begleiten. Kulturpolitik ist für uns immer deutlicher Raumpolitik, und sei es im Modus der Selbstverwaltung als Selbstverteidigung. Wie es auch in der Präambel zum Manifest von Haben und Brauchen heißt „ist es von Bedeutung, sich nicht auf die Forderung nach städtischen Freiräumen und bezahlbaren Ateliers, nach Erhöhung und Neuorientierung der öffentlichen Kunstförderung zu beschränken, sondern eine Anbindung an aktuelle Diskussionen um Stadtentwicklung, Liegenschafts- und Mietenpolitik zu vollziehen.“
Bislang schien es so, als seien darin der Runde Tisch, das Bündnis Stadt von Unten, der bbk und Haben und Brauchen Verbündete. Mit dem Skandal, über den wir euch hier berichten möchten, verunklären sich aber leider die Linien und es geht es ein weiteres Mal darum, wie wir uns eine Politik eigentlich konkret vorstellen, die unsere Lebens- und Arbeitsräume erhält UND uns das Recht und die Möglichkeit der Selbstverwaltung einräumt, statt uns von oben mit gutgemeinten Preisen und Förderungen zu beruhigen.
Der Fall Dragonerareal: 99 Prozent sozial oder Kulturstandort?
Das laufende Höchstbieterverfahren zur Veräußerung des Dragonerareals in Kreuzberg, das Euch wahrscheinlich vor allem deswegen bekannt ist, weil dort die LPG den Biosupermarkt betreibt, steht kurz vor dem Abschluss. Nun ist der Projektentwickler Arne Piepgras, der auch das ehemalige Stadtbad Wedding besitzt, mit dem Höchstgebot von 36 Millionen € (das Dreifache des Verkehrswerts) in Exklusivverhandlungen mit der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA). Das ist an und für sich nichts ungewöhnliches, hat doch in erster Linie der Bund am Höchstbieterverfahren festgehalten, und damit verunmöglicht, dass auf dem Areal rund 750 bezahlbare Wohnungen gebaut werden könnten, die nebenan auf dem Tempelhofer Feld in der politischen Mischkalkulation des Senats geplant waren. Der Bezirk und auch Teile der SPD wollten und wollen aber für das Areal nicht eine einfache Investoren-Lösung, weil sie langsam kapieren, dass ihnen das Ruder entgleitet, was die städtische Raumpolitik angeht. Siehe Tempelhof. Und da kommt dann Kunst ins Spiel.
Der Investor möchte das Areal mit 150 Millionen zum Kulturstandort entwickeln. Als Landmarke sollen in die heutigen Räumlichkeiten der LPG ein kleineres Kunstmuseum für den Nachlass George Grosz’ einziehen (den die Erben wohl für 10 Mio. an das Land Berlin verkaufen wollten, was dieses nicht haben wollte), sowie in die restlichen unter Denkmalschutz stehenden Bestandsgebäude 30 Ateliers und Galerien. Auf den restlichen Flächen sollen etwas Wohnen und hauptsächlich Gewerbe entstehen. Wie die taz berichtete sind Florian Schmidt und Florian Schöttle als ehemalige und aktuelle Atelierbeauftragte des bbk an Piepgras‘ Projekt beteiligt.
Die Projektentwickler haben verkündet, dass dort auch noch ein kleiner Teil Wohnungen gebaut werden sollen, vielleicht sogar ein paar „bezahlbar“. Wenn man sich aber den Sand des „Kulturstandortes“ aus den Augen reibt, wird deutlich, dass bei der vom Investor angepeilten Dichte mehrere 10.000 m2 Bruttogeschossfläche Gewerbeflächen übrig bleiben, die mit hohen Renditen verwertet werden können und bei dem gebotenen Kaufpreis auch müssen. Diese könnten nach dem derzeit noch gültigen Bebauungsplan aus den 60er Jahren ohne Zustimmung des Bezirks und Bürgerbeteiligung sofort realisiert werden.
Selbstverwaltet und Kommunal
Seit Anfang des Jahres haben wir mit dem Bündnis Stadt von Unten politischen Druck gegen das Höchstbieterverfahren aufgebaut. Mit 100 % Forderungen einer Mieterstadt entlang den Bedürfnissen der Nutzerinnen, haben wir für die Entwicklung des Areals ein „Modellprojekt“ eingefordert, indem langfristig gesicherte, bezahlbare Wohn- und Gewerbeflächen realisiert werden sollen. Langfristig gesichert, heißt an den Nutzungszweck gebunden und nicht wieder veräußerbar.
Parallel arbeiten wir entlang unserer politischen Forderungen an der Entwicklung dieses Modellprojektes selbstverwaltet und kommunal – mit dem Ziel, die Vorteile von Selbstverwaltung und kommunaler Wohnraumversorgung zusammen zu denken. Verschiedene Möglichkeiten sich einzubringen, mitzubestimmen, vor allem aber: ohne Privateigentum. Für dieses Modell hat das Bündnis Stadt von Unten einen Euro geboten.
Parallel ist das MietshäuserSyndikat in Zusammenarbeit mit einer kommunalen Wohnungsbaugesellschaft selbst als Mitbieterin aufgetreten. Dies hat auch zu Reibungen geführt, da damit die 100% Forderungen des Bündnisses nicht völlig umsetzbar waren. Denn auch hier war ein kleiner Teil (10 %) Eigentumswohnungen geplant, der vor allem seitens des Senats gewollt war. Dennoch spielte sich ein großer Teil bei Mieten zwischen 6,50 und 8,50 ab, was vor allem bei dauerhafter und gesicherter Mietpreisbindung ein ernsthafter Gewinn für die Stadt wäre. Genauso waren 5.500qm bezahlbarer und vor allem auch selbstverwalteter Arbeitsraum für Künstlerinnen und Kleingewerbetreibende ein wesentliches Element. Das entspräche über 100 Ateliers, Kleingewerbeflächen oder Werkstätten.
Auch war ein ernsthaftes und langwieriges Beteiligungsverfahren entlang der Kreuzberger politischen Diskussion in die Projektentwicklung mit eingepreist. Zudem schien die Zusammenarbeit von städtischer Wohnungsbaugesellschaft und selbstverwaltetem Syndikat im Bezug auf die Probleme und Forderungen der kämpfenden Mieterinnen für eine andere Ausrichtung des kommunalen Wohnungsneubaus fruchtbar.
Die Tatsache, dass selbst bei unseren Konzessionen an die völlig verrückte Preisentwicklung in der Stadt, und den fehlenden politischen Willen im großen Maßstab sozialen Wohn- und Arbeitsraum zu schaffen, ein Kaufpreis von mehr als 20 Millionen nicht sozial zu finanzieren gewesen wäre, zeigt dass bei Piepgras, andere Interessen im Vordergrund stehen.
Kultur als Spielmarke
Am Dragoner Areal stehen sich nun Projekte gegenüber, die alle politische, soziale oder kulturelle Legitimität zu haben scheinen. Wir verstehen allerdings nicht, wie das Konzept eines Kulturstandortes, mit Galerien, hochpreisigem Gewerbe und angeschlossenem Hotel den Bedürfnissen den Kreuzbergerinnen gerecht werden soll, wie Florian Schöttle in der taz behauptet hat. Denn Anwohnerinnen hatten schon im Zusammenhang mit dem ersten Verkaufsversuch durch die BImA im Beteiligungsverfahren deutlich Ängste vor Aufwertung und Verdrängung geäußert, sowie das dringende Bedürfnis nach bezahlbarem Wohnraum artikuliert. Wie es auch Haben und Brauchen im eingangs zitierten Manifest formuliert hat, brauchen wir eine grundsätzlich andere Stadtentwicklungspolitik. Wir brauchen dauerhaft gesicherte und bezahlbare Wohn-, Arbeits- und Projekträume, und wo dieses durch bestehende Rahmenbedingungen nicht möglich ist, müssen wir gemeinsam denjenigen offensiv entgegentreten, die uns ihre Sachzwanglogik aufdrängen wollen.
Im Fall des Dragonerareals wird dagegen das Höchstbieterverfahren, das politisch von unten als äußerst fragwürdig eingeschätzt wird, (geschlossen seitens der Oppositionsparteien und sogar teilweise durch den Senat) schließlich von Akteuren legitimiert, die auf Senatsebene eine andere Liegenschaftspolitik fordern und somit Bemühungen unterlaufen, den politischen Druck aufrechtzuerhalten und die falschen Rahmenbedingungen an sich zu verändern. Wir fürchten außerdem, dass mit der Unterstützung des Atelierbeauftragten des bbk, dem Projekt die Legitimität der Berliner Künstlerinnenschaft verliehen werden soll. Wäre der Bieter nicht durch Kunst- und Kultur legitimiert, würde es sich die BImA zweimal überlegen, ob sie hier an jemanden veräußert der keine politische Rückendeckung im Bezirk und in der Bevölkerung hat.
Kunst geht immer ... no questions asked.
Euch als Künstlerinnen und Kulturschaffende wollen wir ansprechen den Beteiligten einige Fragen zu stellen:
Denken die daran beteiligten Akteure aus der Liegenschafts- und Kulturpolitik wirklich, dass Arne Piepgras Konzept den konkreten Bedürfnissen der Kreuzberginnen und Kreuzbergern ohne Beteiligung einfach so entgegenkommt?
Sind die 30 versprochenen Ateliers es wirklich wert, ein investorenfreundliches Konzept politisch zu legitimieren, und die politische Integrität von Künstlerinnen-Interessenvertretung (bbk) und einer nicht an Profitinteressen orientierte Stadtentwicklungspolitik (Runder Tisch zur Liegenschaftspolitik, Initiative Stadt Neudenken) zur Disposition zu stellen?
Wissen die Mitglieder des BBK, dass Schmidt und Schöttle in ihrer Funktion und im Namen der Atelierförderung große Mengen preiswertes Gewerbe für kleine Kultur und Medienschaffende verunmöglichen und gleichzeitig Kultur gegen bezahlbaren Wohn und Arbeitsraum in Kreuzberg ausspielen?
Ist sich der bbk bewusst, dass er mit der Beteiligung an einem solchen Konzept Gefahr läuft, die Interessen von senatsgeförderten, professionellen Künstlerinnen gegen diejenigen auszuspielen, die sich für eine kulturell aufregende, aber soziale Stadt für alle einsetzen?
Wollen die Kunst- und Kulturschaffenden in dieser Stadt es zulassen, dass nach der Debatte um Wowereits Kunsthalle nun wieder ein Museum eine umstrittene Investitionsmöglichkeit politisch legitimiert? Dass also die hinter den Höchstbietenden stehenden Investoren, einen Standort mit dem philanthropischen Aufruf von Künstlerinnen und Kunstsammlung als Spielmarken baureif bekommen?
Und was jetzt?
Wir regen an, dass die Projektentwickler, die behaupten die Stadt neu zu denken, die Bedürfnisse der Kreuzbergerinnen nicht orakeln, sondern in den bestehenden Bündnissen und Gruppen erfragen. Sollte ihnen das zu mühsam sein, oder die Ergebnisse den eigenen Vorstellungen widersprechen, schlagen wir den Rückzug vom Dragonerareal vor.
Sollte dem bbk als Künstlerinteressenvertretung, das Allgemeinpolitische der Kämpfe in Berlin aus den Blickfeld geraten, regen wir an, diese wieder stärker in den Blick zu nehmen und sich hier eindeutig zu positionieren.
Wir schlagen vor, dass wir als Kulturschaffende dem Projekt eines Kulturstandortes auf dem Dragonerareal unsere Zustimmung verweigern und der BImA, dem Senat, dem Bezirk und den Projektverantwortlichen sagen: Investorenkultur haben wir schon genug. Brauchen wir nicht.
Robert Burghardt (Architekt), Anna Heilgemeir (Architektin und Mietenaktivistin) und Johannes Paul Raether (Künstler)
Berufsverbad bildender Künste, Zur Diskussion über das Dragoner Areal in Kreuzberg, 03.11.2014
Das Areal gehört noch dem Bund. Will er es abgeben, sollte es dem Land Berlin übertragen werden:
gerade innerstädtische Grundstücke im Besitz der öffentlichen Hand sollten nicht veräußert, sondern
unter Gesichtspunkten des aktuellen Wohnbedarfes, sozialer, kultureller und künstlerischer
Infrastruktur entwickelt werden.
Der Bund sieht sich jedoch gesetzlich zum Verkauf gezwungen, und das zum Höchstpreis. Dies
bedeutet, die öffentliche Hand beteiligt sich an Spekulation und Blasenbildung und schafft zugleich
wirtschaftliche Rahmenbedingungen, die eine renditeorientierte Grundstücksentwicklung ohne
gesellschaftlichen Nutzen geradezu erzwingen.
Damit aber ist das Dragonerareal nicht Ausnahme, sondern ein Regelfall in einer renditeorientierter
Bodenwirtschaft. Ihr müssen nichtkommerzielle Nutzungselemente geradezu abgerungen werden -
und genau das ist, soweit die Infrastruktur für künstlerisches Arbeiten betroffen ist, die Aufgabe des
Atelierbeauftragten im Kulturwerk des bbk berlin.
Er hat einem potentiellen Erwerber gegenüber die Mindest- und Rahmenbedingungen benannt, die für
ein nachhaltiges und für Künstlerinnen und Künstler bezahlbares Arbeitsflächenangebot vorausgesetzt
werden müssen. Denn: soll eine Ankündigung, man wolle Künstlerateliers schaffen, nicht hohl
bleiben, müssen die Bedingungen formuliert werden, die ein solches Angebot nachhaltig und
bedarfsgerecht werden lassen und zugleich eine transparente, faire und an Dringlichkeiten, nicht
Beziehungen oder Kontostand orientierte Vergabe dieser Arbeitsplätze an Berufskünstlerinnen und -
künstler ermöglichen.
Selbstverständlich dürfen Künstlerarbeitsplätze weder Feigenblatt noch nur kurzfristig geduldete
Randnutzung sein: Der Atelierbeauftragte hat deshalb gegenüber dem potentiellen Erwerber als
zwingend notwendige Rahmenbedingung für ein Atelierangebot im Dragonerareal ausdrücklich auch
die Schaffung bezahlbaren Wohnraums im Areal benannt.
Schließlich: wenn mit Florian Schöttle ein freiberuflicher Immobilienexperte, der bis 2013 für das
Kulturwerk des bbk berlin tätig war, an einer Projektentwicklung beteiligt ist, ist ihm das natürlich
unbenommen. Es sollte zugleich selbstverständlich sein, den bbk berlin oder sein Kulturwerk nicht für
Aussagen oder Handlungen ehemaliger Mitarbeiter in Anspruch zu nehmen.
Herbert Mondry, bbk berlin
Bernhard Kotowski, Kulturwerk des bbk berlin
Bündnis Stadt von Unten,offener Brief, 05.11.2014
Liebe Kulturarbeiterinnen,
Liebe Freundinnen beim bbk, bei Haben und Brauchen, dem Projektraumnetzwerk
und der Mieten- und Raumpolitik,
Wir haben Euch letzte Woche einen Brief geschrieben, indem wir versucht haben problematische Konstellationen im alternativen Projektentwicklerinnenmilieu und im Kulturbetrieb aufzuzeigen. Wir finden es nun super, dass der bbk eine Stellungnahme zu unserem Brief veröffentlicht hat und sich zumindest vorsichtig von den Vorgängen am Dragoner-Areal distanziert. In der Stellungnahme wird die Beteiligung des Atelierbeauftragten des bbk am Projekt deutlich eingegrenzt und die Beteiligung an der Projektentwicklung ausgeschlossen.
Dennoch hätten wir uns eine gegenüber der BImA, dem Bund und dem Senat offensivere Positionierung gewünscht, aber das ist wohl Teil institutionalisierter Realpolitik: Nach allen Seiten ansprechbar bleiben. Als prekäre Kulturarbeiterinnen und Stadtaktivisten erlauben wir uns hier hinzuzufügen, dass unsere Unabhängigkeit, unsere Wut und unsere spontane Organisierung unsere Stärke ausmachen - auch in der offenen Kritik der Institutionen. Das ist wichtiger Teil einer kritischen Kultur- und Stadtentwicklungspolitik.
Was am Fall des Dragoner Areals zunehmend klar wird ist die dringende Notwendigkeit die Realpolitik in Hinterzimmern, zwischen Vergabekriterien und Sachzwanglogik, in Dialogforen und Gremien mit den Initiativen und Organisationen der Mieterinnen und Künstlerinnen in den Häusern und Ateliers zu diskutieren und abzugleichen.
Es war eine unserer Intentionen des Briefes eine solche Debatte loszutreten und dazu wollen wir mit einer öffentlichen Veranstaltung in den nächsten Wochen beitragen. Mehr infos dazu bald per mail, auf unserer page und on your (least) favourite InfoCorporate Social Network.
Solange hoffen wir auf mehr Ausbrüche, und offene Kritik am gespielten Stadtfrieden, bis wir uns wieder gemeinsam nehmen, was uns bereits gehört.
Beste Grüße
Robert Burghardt, Anna Heilgemeir, Johannes Raether