"Notfalls per Volksbegehren"
Der Berliner Wohnungsmarkt befindet sich aktuell in einer angespannten Situation, was vor allem Menschen mit niedrigem oder gar keinem Einkommen, aber mittlerweile auch die Mittelschicht betrifft. Im österreichischen Bundesland Salzburg wurde 2006 ein Wohnbaufonds entwickelt, dessen Umsetzung auch hier in Zukunft die Situation etwas entschärfen könnte. Sie haben dieses Konzept für Berlin übertragen und es durchgerechnet - können Sie uns das ein bisschen genauer erklären?
Wahls: Generell wollte man ein Modell schaffen, in welches nicht nur einmalig Geld gesteckt wird, sondern das dauerhaft bezahlbare Wohnungen schafft und auf lange Sicht einen Bedarf deckt.
Breitkopf: Das funktioniert nur dann, wenn die öffentliche Hand als Investor auftritt, welche auch entsprechende Zinsvorteile gegenüber der Privatwirtschaft hat, beispielsweise bei der Investitionsbank Berlin. Im Lauf der Zeit werden über die Mieten die Investitionen getilgt. Durch öffentliche Konditionen sind die aber zum einen niedriger, zum anderen können so gemeinnützige Wohnflächen dauerhaft geschaffen werden.
Woher würde Berlin das Startkapital für die erstmalige Einrichtung des revolvierenden Fonds nehmen?
Wahls: Das müsste zuerst einmal durch das Abgeordnetenhauses beschlossen werden. Um eine weitere Verschuldung zu verhindern, gibt es für solche Aufgaben die Möglichkeit, getrennt vom Landeshaushalt ein "Sondervermögen Wohnungsförderung" zu errichten. Das ist unser Vorschlag eines revolvierenden Wohnungsbaufonds.
Breitkopf: Für die Realisation gibt es bei der heutigen Finanzplanung nur eine relevante Position: Die seinerzeit von Berlin über die IBB ausgereichten Wohnungsbaukredite von heute noch 4,5 Mrd. €, die sukzessive getilgt werden. Man sollte die alte in eine neue Wohnraumförderung transformieren.
In Salzburg konnte der Mietpreis um rund ein Drittel gesenkt werden, ließe sich auch in Kreuzberg wieder ein Quadratmeterpreis von 4,- Euro realisieren?
Wahls: In Salzburg liegen die tatsächlichen Errichtungs- und Bewirtschaftungskosten bei 6,- Euro/Quadratmeter und das schätzen wir auch hier ungefähr so ein.
Eine weitere Forderung ist ja der Rückkauf von privaten Wohnungen, könnte das Sondervermögen auch diese decken?
Breitkopf: Ja. Denn egal ob Altbau gekauft, oder Wohnungen neu gebaut werden: Der Finanzierungsvorgang ist strukturell analog.
Wahls: Man wird eine Kombination von beiden brauchen, Neubau und Rückkäufe. Es muss jedoch geprüft werden, was an welcher Stelle sinnvoller ist. In Pankow oder Treptow gibt es zum Beispiel Liegenschaften die tatsächlich für den Neubau größerer Siedlungen geeignet sind. In Kreuzberg wiederum wird das in dieser Form nicht möglich sein und daher ist dort die Re-Kommunalisierung der sozialen Bauten vernünftiger.
Der Salzburger Wohnbaufonds erregt auch negative Aufmerksamkeit, als publik wurde, dass die Finanzabteilung des Landes Salzburg mit den aktuell nicht benötigtem Geld des Fonds spekulierte. Was kann Berlin davon lernen und wie ließe sich das am Besten vermeiden?
Wahls: Indem man eine Körperschaft öffentlichen Rechts schafft, in welcher Entscheidungen nicht ausschließlich von Regierung und den Senatsparteien getroffen werden, sondern es eine Parlamentseinbindung, eine demokratisierende Beteiligung und mehr Transparenz gibt. Außerdem muss es bei Entscheidungen eine Kommunikation mit den Bezirken geben.
Breitkopf: Zusätzlich muss man das mit einer Stiftung kombinieren. Das ergebe folglich ein gesellschaftliches Triumvirat, bestehend aus dem Sondervermögen für die Kapitalseite, einer Körperschaft öffentlichen Rechts für die Steuerungs-, Verwaltungs- und technische Abwicklungsseite und einer Stiftung, wodurch das Kapital zweckgebunden wird.
Die Folge diese Spekulationen können wir derzeit in den österreichischen Medien verfolgen, denn in Salzburg wird über den Verkauf der Wohnbaudarlehen diskutiert und ob die Finanzierung in Zukunft wieder über Kredite bei Banken funktioniert, wodurch von der Idee des ursprünglichen Wohnbaufonds kaum noch etwas übrig bliebe und infolgedessen die Mietpreise wieder steigen würden. Daher meine Frage: Wie ließe sich solche Spekulationen in Berlin von Beginn an umgehen?
Wahls: Zum Einen über die Stiftung, weil das Vermögen dauerhaft über den Stiftungszweck gebunden ist und zum Anderen über die Einbindung der Mieterschaft und die Koppelung an das Stiftungsmodell. Dann bekommt man einen ganz realen Schutz vor der Privatisierungs- und Verwaltungsmaschinerie, weil auch die Mieter zu Akteuren werden und solche Veräußerungen verhindert können.
Zum Schluss noch ein Blick in die Zukunft - was müsste denn Ihrer Meinung im nächsten Schritt passieren?
Breitkopf: Wichtig ist erstmal, dass man jetzt damit anfangen muss, wenn wir eine neue Wohnungsbauförderung aufbauen wollen. Eine Förderung von 100.000 Wohnungen über 10 Jahre benötigt eine Anlaufzeit von ca. 2 - 3 Jahren. Das hat man im Berlin der 90er gesehen. Vor allem aber sollten die zurücklaufenden alten Förderkredite baldmöglichst in einem Sondervermögen zweckgebunden, und nicht im Haushalt verbraucht werden.
Wahls: Auch müssen dringend kurzfristige Regelungen für betroffene Mieter gefunden werden, deren Mieten so gestiegen sind, dass sie zum Beispiel nicht mehr über die Wohnungsaufwendungsverordnung getragen werden. Die werden gerade akut aus den Innenstadtgebieten verdrängt. Mittelfristig müssen dann die erforderlichen Schritte für einen neuen sozialen Wohnungsbau, wie ihn zum Beispiel Initiativen wie Kotti&Co seit Jahren fordern, auf den Weg gebracht werden. Und wenn die Politik nicht einsichtig ist, notfalls auch per Volksbegehren.
Rainer Wahls Stadtteilbüro Friedrichshain, Michael Breitkopf Sozialberatung Friedrichshain/Kotti&Co
Die Publikation des ausführlichen "Wohnungspolitischen Handlungskonzepts" gibts hier...
Das Interview hat für openberlin geführt: Silvia Grossinger